Meine heutige persönliche Filmkritik:

Sicario
(2015)

Oh der is gut! Hat mir 100%ig gefallen! Geht lang und nimmt sich Zeit, und ist dabei äußerst spannend. Action gibts auch, aber nicht heldenhaftes Militärgeballer, sondern mit einer Anmut von – naja, nicht Doku-Stil, aber eben bewusst nicht beeindruckend inszeniert. Das bedeutet auch, dass es blutig und manchmal auch erschreckend abstoßend ist. Regisseur ist derselbe wie von Enemy, und ich kann mir vorstellen, dass viele von Enemy geschockt waren im Sinn von 'Hää? Laaaangweilig' (Ich fand ihn großartig! Ist aber zugegebenermaßen wirklich schwere Kunst-Kost.) Aber ich kann insofern Entwarnung geben, dass Sicario wesentlich konventioneller daherkommt. Was nicht heißt, dass er uninteressant oder beliebig wirkt. Die Grundidee erfindet das Rad sicherlich nicht neu, schließlich geht es um organisierte Drogenkriminalität an der US-Mexikanischen Grenze. Und das Grauen des Drogenkriegs wird zum Teil explizit dargestellt. Das passiert keinesfalls effekthascherisch, bildet aber eine gelungene Milieubeschreibung. Ich befürchte, manche der gezeigten Tatort-Fotos bei Kates Recherche sind echt. Sie sind furchtbar.

 

Das Ensemble umfasst ebenfalls bekannte Konstellationen: Der in locker-flockiger Cowboy-Manier agierende Einsatzleiter, der Neuling (Kate) und gleichzeitig irgendwie immer Außenseiter mit ihrem einzigen Freund und Vertrauten, und der Undurchsichtige, der letztendlich für die interessante Wendung in der Handlung verantwortlich ist. Inhaltlich geht es vordergründig um Drogenfahnder. Hintergründig um die Frage nach Moral und der roten Linie, die definiert, bis wohin der Zweck die Mittel heiligt. Um kleinere und größere Beteiligte des Systems, die zum Teil schön und tragisch als einfache Menschen mit Familien eingeführt werden, und letztendlich natürlich einigermaßen unvermeidbar: um Rache.

 

Die gesamte Erscheinung des Films ist praktisch wie Enemy gestaltet: Kamera und Schnitt, Musikstil bis hin zur Farbkorrektur, und sogar inhaltlich der üppige Einsatz von weitläufigen Flugaufnahmen bilden eine ganz klare Parallele. Sogar das Filmplakat ist in ähnlichem Stil. Vom Erzählrhythmus gestaltet sich Sicario wie erwähnt wesentlich konventioneller, was in diesem Fall 'flotter' bedeutet. Aber im Vergleich zum üblichen zeitgenössischen Action-/Agenten-/Polizeifilm immer noch gemächlich. Gefühlt hatte ein Bourne-Film in der ersten halben Stunde mehr Schnitte als dieser über die gesamte Laufzeit. Dennoch kommt über weite Strecken eine sehr gute, andauernde Spannung rein (siehe auch später mit den Schüssen). Extrem gut spannend gemacht in Erwartung einer jeden Moment hereinbrechenden Konfrontation (die dann letztendlich ganz anders stattfindet als man meint), ist ziemlich zu Anfang die Abholung und Rückführung des Gefangenen über die Grenze. Überraschend, aber sehr gelungen in Bezug auf die Kamera empfinde ich die nächtliche Infiltration des Tunnels zum Schluss: Neben dem bekannten Einsatz von subjektiven Blickwinkeln der beteiligten Soldaten, die als schwarz/weiße Infrarotaufnahmen gezeigt werden, wird der Marsch durch die dunkle Hügellandschaft in grünlich gestörten Bildern wie von einem Nachtsichtgerät gezeigt. Das Besondere dabei ist: Es sind die ganz normalen Kameraperspektiven und keine Subjektiven. Im ersten Moment irritiert das ein wenig, denn man geht automatisch vom Blick eines Beteiligten aus, bis man merkt, dass dem nicht so ist. Eine sehr angenehme leichte Irritation.

 

Das Casting ist finde ich gut gelungen: Benicio del Toro ist für mich der interessanteste Charakter, dabei aber extrem fragwürdig. Emily Blunt habe ich zum ersten Mal gesehen. Ich finde ihr Spiel sehr gut, und auch rein optisch nehme ich ihr die kernige FBI-Agentin von der Front ab. Es ist vor allem ihre eigene Entwicklung, die tragisch und melancholisch-desillusionierend verläuft, was in die überwiegende Grundstimmung mit denselben Attributen passt bzw. diese widerspiegelt. Ich hab mich kurz gefragt, ob es nicht doch sehr aufgesetzt ist, dass es natürlich die einzige Frau im Team ist, die am Schluss wieder heult, aber letztendlich ist die Transformation denke ich doch plausibel: Zu Beginn hat sie Einsätze mitgemacht, die in relativ gelenkten Bahnen und nach Lehrbuch und Regeln verliefen. Damit konnte sie offenbar gut umgehen, ohne abzustumpfen, und war überzeugt, sie trägt zu etwas Besserem bei. Dann aber stellt sie fest, dass sie 'nur an der Oberfläche kratzt' bzw. 'immer nur noch aufräumt'. Durch den Wechsel in das andere Team erhofft sie sich, mehr und direkter zum Besseren beitragen zu können. Aber plötzlich lernt sie eine Dimension der Situation kennen, in der sie mit den eingangs erwähnten Fragen nach Moral und der roten Linie so heftig wie nie konfrontiert wird, und ihre Überzeugung in Frage stellen muss, was letztendlich zu einem ernüchternden Ergebnis führt. Selbstredend, dass es dabei nicht wirklich ein Happy End gibt, sondern der Film unverändert in der genannten tragisch-melancholisch-desillusionierenden Stimmung endet. 

 

Tonmäßig ist das zurückhaltende Sounddesign ordentlich gemacht. Überhaupt nicht zurückhaltend sind die Schüsse. Sie knallen so dermaßen knochentrocken, dass man schon vom Geräusch allein zusammenzuckt. Und dann sind die Szenen mit Waffeneinsatz oft so aufgebaut, dass eigentlich klar ist, dass gleich ein Schuss fällt, aber dann dauerts und dauerts und es wird geredet (weil die Szenen eben trotzdem verhältnismäßig ruhig verlaufen), was den Zuschauer in einen hohen Anspannungsgrad versetzt, ohne dass Gruselmusik einsetzen muss. Apropos Musik: Die Musik ist einfach grandios! Könnte ein Score sein, den ich mir mal wieder kaufe. Unangenehm schwellendes düster-melancholisch-bedrohliches Orchester mit einigen Passagen und Geräuschen, die ich bisher nur vom außergewöhnlichen Terminator 2-Score von Brad Fiedel kannte. Interessant, überraschend, aber super anzuhören.

 

Insgesamt also eine ganz dringende Empfehlung für einen anspruchsvollen Filmgenuss!

Mein Lieblingszitat (ja, solche Sprüche kommen auch vor): 'Wie geht’s?' 'Wenn ich pinkel, dann brennt's.'

Sascha Loffl - Filmemacher

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