Meine heutige persönliche Filmkritik:

Wunder
(2018)

Dieser Film plätschert so dermaßen rührselig seicht und füttert den Zuschauer nach jedem Akt eines tränendrüsendrückenden Overkills mit üppigen Portionen friedfreudigem Eierkuchen, dass sich der Verdacht aufdrängt, es wurde eine klischeehafte Zutatenliste abgearbeitet, die einzig auf den Maximalertrag an Schmalz und überschwänglicher Sentimentalität abzielt. Diese Vorgehensweise führt gern zum Gegenteil, und lässt das Gefühl künstlich übertrieben und ins unfreiwillig Komische abdriften.

Das Interessante bei Wunder: Es funktioniert trotzdem! Im Ernst, ich bin ziemlich sicher, dass das mein meistbeheulter Film ist! Es gab keine 10 Minuten am Stück, an denen ich nicht zumindest im Ansatz in Tränen stand, aus unterschiedlichen Empfindungen heraus. Und dass die Emotionen so transportiert werden, eben obwohl (!) die Grundvoraussetzungen der Handlung und auch die Machart eigentlich Klischeebrei vermuten lassen, finde ich absolut bemerkenswert und außergewöhnlich.

 

Die Handlung entspringt ja einem Buch, und eben aufgrund der gefühlt 'banalen' Struktur, die sich z.B. auch durch sehr einfach gestrickte, fast schon künstlich plakativ wirkende und gleichzeitig sehr abrupt getaktete Streit-Versöhnungs-Zyklen definiert, kam mir irgendwann in den Sinn, ob es sich vielleicht um ein Kinderbuch handeln könnte. Dies trifft wohl auch zu, und erklärt für mich damit den Grund-Tenor der emotionalen 'in-your-face!'-Gestaltung. Entsprechend ist der Film technisch in Ton und Bild schnörkellos und unauffällig inszeniert, aber einwandfrei ansehnlich. Und hier und da sind dann doch einige nette Gestaltungselemente eingewoben. Zum Beispiel gibt es immer wieder Sequenzen in Zeitlupe, wenn Auggie (Jacob Tremblay) in seiner Vorstellung mit dem Raumanzug umherhüpft. Oder die Kamerafahrt nach dem Theaterstück, wenn er zum ersten Mal ganz allein dasteht, was symbolisiert, dass dies einer der ersten Momente in der Entwicklung der Familie ist, in dem er nicht im Mittelpunkt steht, was im Kontext ein guter Aspekt ist.

 

Am auffälligsten ist jedoch der mehrmalige Wechsel der Erzählperspektive, der gut sichtbar und unverfehlbar mit expliziter Texteinblendung eingeleitet wird. Diese Strategie ist für mich auch der raffinierteste Kniff in der Erzählweise, denn erst durch sie erhält der Zuschauer Zugang zum tiefersitzenden Sinn; zu dem, was der Film, eingewoben in die vordergründige Geschichte, in seiner Gesamtheit letztendlich eigentlich aussagen möchte: Vordergründig geht es natürlich offensichtlich um den entstellten Jungen und sein Erleben von Aspekten wie Vorurteilen, Ausgrenzung, Verlassensein, Hoffnungslosigkeit, aber auch Vertrauen, Freunde, Zusammenhalt, usw. Die (Rand-)Geschichten der anderen Charaktere zeigen jedoch Gegebenheiten, die einerseits natürlich auf ihre Art in Auggies Erlebnisse einfließen oder von selbst von ihnen beeinflusst werden, aber andererseits auch selbst eigene Geschichten vom Erleben ähnlicher Empfindungen sind. Während man Auggie also seine Probleme sozusagen wortwörtlich 'ins Gesicht geschrieben' sieht, offenbaren die Blicke auf die anderen Charaktere bzw. die Einblicke in deren Gemütszustand (konkret durch Aussagen aus dem Off), ähnliches, nur eben sind deren Probleme vordergründig nicht sichtbar. Um es plakativ auf einen Nenner zu bringen: Hinter der Fassade kanns ganz anders aussehen, oder auch 'außen hui, innen pfui'. Doch gemäß der eingangs erwähnten Grundstimmung geht es hier nicht um die sprichwörtlichen Leichen im Keller, sondern um sentimentale Verstrickungen bis zur Melancholie. Damit liegt der offensichtlichen, banal wirkenden Rührseligkeit also durchaus ein raffiniertes Muster von Zusammenhängen zugrunde. Wobei es eigentlich andersrum ausgedrückt besser zutreffend ist: Die einzelnen, massiv beseelten Aspekte, die für sich betrachtet überwiegend geradezu klischeehaft schmalzig anmuten, ergeben dann doch einen ansprechenden und clever konstruierten Blick auf ein übergeordnetes Ganzes.

 

Sehr nett sind auch die Star Wars-Einwürfe, wenn immer wieder Chewbacca auftaucht, um Auggies selbst wahrgenommene Andersartigkeit zusätzlich zu bebildern, aber auch um als kleines, vereinzelt eingestreutes geschichtliches 'Transportmittel' für seine Entwicklung zu fungieren (anfangs wird Chewbacca unangenehm angestarrt, zum Schluss applaudiert er).

 

Zusammenfassend: Ja der Film ist formal ein plattes Rührstück! Aber überraschenderweise ein sehr sehr schönes! Ich kann mir gut vorstellen, dass der Film polarisiert, denn er transportiert ab der ersten Minute praktisch unentwegt überschwängliches Gefühl im Bereich von sentimental-melancholischer Glückseligkeit in Reinform, das dem Zuschauer pausenlos mit einem überdimensionierten, wundersam wolkenweichen Plüschhammer eingedroschen wird. Daher vermute ich, Wunder wird für die einen völlig überzogene, abgedroschene Schnulze sein, für die anderen ein hemmungslos fühliger und letztendlich schwärmerisch verträumter, märchenhaft beglückender Seelen-Trip mit beispiellosem Taschentuch-Verschleiß. Herzallerliebst.

Sascha Loffl - Filmemacher

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