Meine heutige persönliche Filmkritik:

I Am Mother
(2019)

Ein SciFi nach meinem Geschmack. Vor allem mag ich die ruhige Erzählweise. Die Kulissen sind schön clean von der Art, dass es keinerlei Hausstaub mehr zu geben scheint, was mich hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Im Ernst: Oft gibt es ja nur diese elegante Zukunft mit sauberen, spiegelnden Flächen, oder eben die voller Dreck, Geröll und Ruinen. Die Station ist plausibel entworfen und gebaut, wirkt wie aus einer realistischen Zukunft ohne Technik, die zu weit hergeholt scheint, und selbst wenn es gegen Schluss nach Draußen geht, wirkt die triste, vernebelte Welt doch noch irgendwie malerisch. Insgesamt ein tolles Set- und Licht-Design und eine ansprechende optische Gestaltung an sich.

 

Die Handlung wird gediegen erzählt, ohne je langweilig oder uninteressant anzumuten. Die zeitgeraffte Einführung etabliert sehr gekonnt das innige Verhältnis von Mutter zur Tochter. Herrlich, wenn von hinten gezeigt wird, wie die Tochter ihren Kopf an den Roboter schmiegt. Mutter ist exzellent gestaltet. Bemerkenswert ist, dass nur vereinzelte Shots animiert sind, ansonsten aber ein Mensch im Anzug steckt. Das ist wirklich außerordentlich gut gelungen. Ein schönes, sehr schlichtes Gesicht mit dem einen Auge und den beiden Punkten, die sich je nach Stimmung bewegen, transportieren den künstlichen Charakter gut nach außen - vermenschlicht genug, um zusammen mit der angenehmen Stimme wirklich ein Wesen, gar die fürsorgliche Vertrauensperson in ihm zu sehen, die er darstellen soll (tolles Bild: das Neugeborene in den Armen des mächtigen Roboters bekommt ein Schlaflied gesungen). Aber - wie sich später ja dann herausstellt, ist Mutter durchaus eine Böse (aber mit besten Absichten!?) und Optik und Handeln des Roboters können beide Seiten glaubwürdig ausstrahlen. Je nach Kontext wirkt dieselbe Art von Agieren und Reden entweder so oder so - oder dazwischen.

 

Das Böse ist gleichzeitig auch fast der einzige Schwachpunkt des Films, denn die Auflösung ist wieder mal nur die altbekannte Thematik, dass Roboter den Schutz des Menschen so streng nehmen, dass sie letztendlich furchtbare Entscheidungen aus bestgemeinten Motiven treffen, um den Menschen vor dem Menschen zu schützen. Allerdings hat das für mich das Gesamtempfinden nicht entscheidend beeinträchtigt. Denn den Weg dorthin pflastert ein fantastisches Drehbuch, das mich spätestens mit dem Auftritt der geheimnisvollen Frau, der Hilary Swank eine undurchschaubare und über weite Strecken auch sehr unangenehme, unsympathische Ausstrahlung verleiht, hin- und herfallen ließ zwischen ihr und Mutter. Wer verheimlicht etwas? Wer ist unehrlich in seinen Motiven? Sind diese Motive richtig? Inwieweit wird das jahrelang gelebte Vertrauen der Tochter in Mutter beeinträchtigt?

Eingeleitet wird diese Entwicklung durch das Finden der Maus, die als Stein des Anstoßes fungiert und eigene Gedankengänge der Tochter, und letztendlich auch eigenes Handeln gegen Mutter ins Rollen bringt. Unter diesem Aspekt ist I Am Mother auch eine Art Coming-of-Age-Film im SciFi-Gewand, beschreibt diese Entwicklung doch auch ganz banal pubertierenden Nachwuchs, der sowohl Autorität als auch Überzeugungen und Weltbild der Eltern in Frage zu stellen beginnt. Nur dass mit dem Rebellieren gegen die Mutter hier das nackte Überleben, nicht nur der Tochter selbst, auf dem Spiel steht. Oder doch nicht? Genau diese Ungewissheit trägt den Film für mein Empfinden ganz fantastisch, und die Wendungen schaukeln sich gegenseitig hoch und werden immer bedrohlicher: Dialoge sind zweideutig, Fragen wird ausgewichen, man hört Widersprüchliches, Szenenausgänge bleiben offen. Bravo!

 

Ich habe einige Rezensionen gelesen, die monierten, die Auflösung wäre viel zu früh viel zu absehbar. Das habe ich nicht so empfunden. Vielleicht lag es auch daran, dass ich lange Zeit in eine völlig falsche Richtung getippt habe. Beim ersten Zusammentreffen der Tochter mit der geheimnisvollen Frau habe ich in mehreren Einstellungen eine große Ähnlichkeit der beiden empfunden, zum Beispiel wenn man durch die Sichtluke der Luftschleuse nur ein Teil des Gesichts sieht. Das hat mich vermuten lassen, dass vielleicht ein Zeitparadoxon involviert ist, und die Tochter von ihrem älteren Ich aus der Zukunft gewarnt, gerettet oder auf den rechten Weg gewiesen werden soll.

 

Kamera und Schnitt sind zurückhaltend und völlig effektlos inszeniert, was für mich ein Gütesiegel ist, da es überhaupt nichts vermissen lässt. Selbst der Angriff der Roboter artet nie in Geballer-Orgie aus, sondern wird (auch von der Inszenierung her) nur soweit gezeigt, wie es nötig ist, ohne Pomp und Knall. Damit sind wir bei der Musik. Sie verhält sich genauso, unterstützt mit einem gewohnten, zeitgenössischen SciFi-Sound und gefällt. Zusammen mit eingestreuten Musiken (und Fernsehsendungen) aus der alten Welt (etwa unser Jetzt) verleiht das immer wieder diesen ganz besonderen, fühligen Anflug von Melancholie, die ich in solchen Filmen sehr mag (beispielsweise auch Blade Runner 2049, Oblivion). Das sind oft nur kurze, dezente Momente, die eine emotionale Wucht entfalten, auf die ich persönlich sehr anspreche.

 

Die Regie hat einige herausragende Momente der Inszenierung, wie am Schluss im Container, wenn man durch das ständige Zufallen der Tür im Wind so auf das Geräusch konditioniert ist, dass das Ausbleiben auf Anhieb eine Ankunft ausdrückt, ohne dass man die Tür sieht. Gleichzeitig hält das die Spannung aufrecht, da man eben nicht sofort sieht, wer da angekommen ist. Droht ein Roboter? Kehrt die Tochter doch zum Menschen zurück?. Außerdem schafft sie es gekonnt, Stimmungen und fast schon ganze Genre zu wechseln. Da ist erst dieser absolut vertrauensvolle, nahezu rührselige Tenor, dann die aufsteigende Spannung durch die widersprüchlichen Akteure, was den Unterton nach und nach völlig in Richtung Verschwörungs-Thriller verändert. Beim Verlassen der Station fühlt man sich fast in einem anderen Film. Und unterschwelliger Horror lässt kurzzeitig an blutrünstige Zombi-SciFi denken, wenn die Tochter mit verdrecktem Hemd und Axt durch das zuckende Licht der Flure schleicht - ein Moment, der das Schlimmste vermuten lässt (nicht nur inhaltlich, sondern auch, dass der Film ins Doofe abdriftet), und dann zum Glück nur mit dieser Empfindung gespielt hat.

 

Highlight für mich ist ganz klar die junge Hauptdarstellerin Clara Ruugard.  Die Präsenz der jungen Dänin ist fantastisch. Bildhübsch und bis zur Loslösung am Schluss perfekt geschniegelt (symbolisch passend, denn Mutter züchtet ja nur perfekte Menschen) und mit äußerst starker Mimik. Ihr Charakter muss die Handlung über weite Strecken fast allein tragen (vor allem im Hinblick auf menschliche Mimik und Gestik, da das bei Mutter ja nur begrenzt stattfindet) und das tut sie mit Bravour. Das letzte Mal, als mich eine Darstellerin in der Altersklasse so fasziniert hat, war Hailee Steinfeld in True Grit. Wobei ich hinterher rausgefunden habe - das täuscht: Clara Ruugard war beim Dreh um die 22, geht im Film aber problemlos für 16 durch. Hailee Steinfeld war mit 14 nochmal deutlich jünger in ihrer Oscar-nominierten Darstellung.) Meines Wissens war das ihre erste Hauptrolle nach nur wenigen anderen Nebenrollen und etwas TV-Arbeit in ihrer Heimat. Das Casting war ein echter Glücksgriff. Für mein Empfinden spielt sie mit Hilary Swank absolut auf Augenhöhe. Ich bin gespannt, ob in Zukunft ähnlich tolle Leistungen zu sehen sein werden - vorausgesetzt sie erhält Angebote, deren Rollencharakter auch entsprechende Momente und Dialoge bieten. Das war bei Hailee Steinfeld für mein Empfinden leider nicht so (siehe Ender's Game). 

 

Unabhängig von der Auflösung finde ich den Schluss sehr stark, da er nicht eindeutig ist. War das Überleben der geheimnisvollen Frau nur Teil des Plans von Mutter, wie es der Besuch eines weiteren Roboters bei ihr im Container suggeriert, um die Entwicklung der Tochter nur einem weiteren Test zu unterziehen? Oder war Mutters Freitod gar die letzte Etappe des Plans, der Menschheit zu Besserem zu verhelfen, der jetzt mit der nötigen Reife der Tochter abgeschlossen ist und die Aufsicht der Roboter damit hinfällig werden lässt? Die Entscheidung lässt es vermuten, doch manche Aussage lässt eine gegenteilige Überzeugung vermuten - wie schon öfter im Verlauf. Mutter hat doch außerdem klargemacht, dass sie nicht nur dieser eine Roboter ist, sondern alle Roboter ein gemeinsames Bewusstsein verbindet. 

Insbesondere die letzte Szene ist immens ausdrucksstark. Sie zeigt einen Generationenwechsel als Analogie auf den Filmbeginn: Nun ist es die Tochter, die ihren kleinen Bruder im Arm hält und ihm dasselbe Schlaflied vorsingt wie Mutter ihr selbst, als sie Säugling war - nur dass es da eine Aufnahme aus dem Speicher war. Dann betritt sie den Raum mit den unzähligen Embryonen. In einer längeren Nahaufnahme kann man ihrem Gesicht ablesen, wie es in ihr rotiert (stark!) - aber in welche Richtung? Hat das Menschsein nun gesiegt, und die Tochter kann Verantwortung übernehmen, für sich und ihre neue Familie, der ab sofort sie selbst als Mutter vorstehen würde? Wie hoch war der Preis? Der unerwartete Blick in die Kamera, direkt an den Zuschauer gerichtet, scheint Entschlossenheit auszustrahlen. Zusammen mit der einsetzenden, unterschwellig treibenden Musik erscheint die abschließende Einblendung des Filmtitels wie eine trotzige Ansage: 'I Am Mother'.

Sascha Loffl - Filmemacher

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